Otto Rheinhold (1855-1937) Fabrikant und Menschenfreund
Porträt eines Gründers
Otto Rheinhold, 1855 im rheinischen Oberlahnstein geboren, seit 1879 in Hannover und hier am 16. August 1937 gestorben, gehört zu den wenigen Menschen, deren wirtschaftliches, soziales und kulturelles Lebenswerk gesellschaftliche Bedeutung in ihrer Zeit erlangte und noch in unseren Tagen beanspruchen kann.
Im Werkheim an der hannoverschen Büttnerstraße, einer traditionsreichen Einrichtung der lokalen Wohnungslosenhilfe, ist die Erinnerung an Otto Rheinhold seit 1952 öffentlich dokumentiert: eine steinerne Tafel am Eingang zeigt das reliefartig gestaltete Profil Rheinholds mit der Aufschrift „Otto Rheinhold 1855-1937. Gründer des Werkheimes“. Geehrt wird Rheinhold als Mitgründer des „Asylvereins für Obdachlose“ und langjähriger Vorsitzender des „Vereins gegen Hausbettelei und Obdachlosigkeit“, des Trägervereins des Werkheims.
Bevor Otto Rheinhold mit sozialem Engagement, als Stifter und Mäzen hervortreten konnte, hatte er einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufstieg erlebt. 1874 hatte sich der damals 19jährige gelernte „Handlungsgehilfe“ in Celle niedergelassen und gemeinsam mit seinem älteren Bruder Sartorius mit der Belieferung des dortigen Militärs beschäftigt. 1887 gründeten die wagemutigen Brüder ein Bergbauunternehmen, die „Vereinigte Kieselguhr- und Korksteingesellschaft“, und hatten Erfolg mit dem Abbau eines regionalen Bodenschatzes, der Kieselgur. Dieser Rohstoff pflanzlichen Ursprungs, entstanden aus eiszeitlichen Ablagerungen der Kieselalgen, wurde zu Isoliermaterialien verarbeitet, die die Maschinenindustrie im In- und Ausland benötigte. Die Rheinholds vertrieben „Isolirungen von Lokomotivkesseln und ähnlichen Dampfbehältern“ (Werbung um 1900) und stiegen zu einem bedeutenden Hersteller von Wärme- und Kälteschutz auf.
Noch vor Beginn des Erdölbooms im niedersächsischen Wietze beteiligten sich die Brüder Rheinhold an der Gründung einer Bohrgesellschaft, aus der 1900 als erstes deutsches Ölunternehmen die „Hannoversch-Westfälischen Erdölwerke“ hervorgingen. Und auch an dem 1905 gegründeten „Kaliwerk Prinz Adalbert“ in der Wietze benachbarten Ortschaft Oldau waren die Brüder beteiligt. Für die Kinder der Rheinholdschen Arbeiter wurde 1908 in Südwinsen ein Erholungsheim eingerichtet.
Seit den 1890er Jahren wohnte Otto Rheinhold, inzwischen hannoverscher „Bürger“, mit seiner Frau Elise und den Söhnen Paul und Walter in gutbürgerlicher Nachbarschaft, erst in der Arnswaldtstraße, später in der Erwinstraße. In wachsendem Umfang widmete er Zeit und Vermögen karitativen und gemeinnützigen Zwecken. 1902 begründete er aus dem Nachlaß eines Onkels, der Bildhauer in Berlin war, die „Hugo-Rheinhold-Stiftung“ zur Unterstützung „ethisch-sozialer Bestrebungen“. 1907 initiierte er die Gründung des „Hannoverschen Asylvereins für Obdachlose“, förderte 1910 den Zusammenschluß des Asylvereins mit dem seit 1879 bestehenden „Verein gegen Hausbettelei“ und betrieb als Vorsitzender des neuen „Vereins gegen Hausbettelei und Obdachlosigkeit“ die Errichtung des „Werkheims“ in der Büttnerstraße. 1914 wirkte Rheinhold bei der Gründung des „Hilfsvereins für stellenlose Kaufleute und sonstige Schreibkundige“ mit.
Nach Kriegsbeginn zahlte die Fa. Rheinhold freiwillig Unterstützungen an die Familien von eingezogenen Angestellten und Arbeitern, und das Rheinholdsche Ferienheim in Winsen wurde als Lazarett bereitgestellt; außerdem gaben die Rheinholds Spenden an die städtische Kriegsfürsorge und das Rote Kreuz. Unter Hinweis auf Otto Rheinholds erfolgreiche Unternehmertätigkeit, seine vielfältigen wohltätigen Aktivitäten und nicht zuletzt „seine königstreue Gesinnung“ schlug der hannoversche Polizeipräsident im März 1918 vor, ihm den Ehrentitel eines „Kommerzienrats“ zu verleihen, aber mit dem Zusammenbruch der Monarchie wurde dieser Antrag gegenstandslos.
Otto Rheinholds persönliches karitatives Engagement überstieg bei weitem die in damaliger Zeit von Begüterten geforderte gelegentliche Spendenbereitschaft zugunsten der Wohlfahrt. Leider fehlen persönliche Zeugnisse, die Rheinholds Beweggründe beleuchten, jedoch dürften Herkunft und familiäre Prägung ausschlaggebend gewesen sein. Rheinhold stammte wie seine Frau Elise aus jüdischer Familie; beide waren nach jüdischer Tradition erzogen worden. Wohlhabend geworden, handelten sie im Sinne moralischer Verpflichtung, praktische Nächstenliebe zu üben und Bedürftige zu unterstützen. Dabei ist bemerkenswert, daß Otto und Elise Rheinhold aus dem Judentum ausgeschieden waren. Gleichwohl folgte Otto Rheinhold dem Beispiel seines älteren Bruders Sartorius, der, weiterhin Mitglied der jüdischen Gemeinde, großzügige Stiftungen für jüdische wie für allgemeine Zwecke machte.
1916 bot Otto Rheinhold dem Magistrat die Stiftung eines Denkmals für die Stöckener Kriegergrababteilung an, das, wie er schrieb, „die durch den unseligen Krieg herbeigeführte Trauer“ zum Ausdruck bringen sollte. Rheinhold, der die Plastik einer trauernden Frau gestalten lassen wollte, stieß zunächst auf wenig Gegenliebe; der Magistrat bevorzugte ein martialisches Denkmal in Form eines gepanzerten Kämpfers mit gewaltigem Schwert. Diese Idee - und nicht die von Rheinhold vorgeschlagene „Trauernde“ - verkörperte das damalige Selbstverständnis des nach „Siegfrieden“ und Annexion strebenden Bürgertums. Rheinhold, dessen Sohn Paul am 10.8.1914 in Frankreich gefallen war, trat diesem Standpunkt durch seine Schenkung entgegen. Nach längeren Verhandlungen nahm die Stadt schließlich an, jedoch wurde die „Trauernde“ nicht im Zentrum, sondern am Rand der Abteilung aufgestellt.
Auf Verlangen der Nationalsozialisten mußte Otto Rheinhold 1933 den Vorsitz des „Vereins gegen Hausbettelei und Obdachlosigkeit“ niederlegen; er starb vier Jahre später. Seine Witwe Elise Rheinhold wurde ihrer jüdischen Herkunft wegen verfolgt und am 23. Juli 1942 nach Theresienstadt verschleppt, wo sie umgekommen ist.
Der jüngere Sohn Dr. Walter Rheinhold überlebte die Naziherrschaft; nach 1945 wirkte er langjährig im Vorstand des „Werkheim e.V.“ mit und führte auf diese Weise das karitative Engagement des Vaters fort.
Peter Schulze